Michèle von
rezensiert:
"Sehen heißt nicht glauben. Glauben heißt sehen."
Auszug aus "Wie ich dich sehe" von Eric Lindstrom
»Ich bin wie du mit geschlossenen Augen, nur schlauer!« Das ist Parkers Credo, und sie hat strenge Regeln aufgestellt, wie sie behandelt werden will.
Seit der Trennung von ihrem Freund Scott und dem Tod ihres Vaters verlässt sie sich nur noch auf sich selbst.
Für jeden Tag, an dem sie nicht heult, gibt sie sich einen Goldstern.
Sie trainiert fürs Laufteam – okay, sie ist blind, aber ihre Beine funktionieren ja.
Und sonst hält sie sich die meisten Leute mit Ruppigkeit vom Hals.
Bis Scott ihrer Liebe doch noch eine Chance geben will …
Meinung:
Ja, dieses Buch hat nichts mit Fantasy zu tun.
Ja, ich habe es trotzdem gelesen... oder eher inhaliert.
Nein, ich habe keinerlei Vorurteile gegenüber Behinderten.
Trotzdem hat mir dieses Buch auf positive Weise die Augen geöffnet, weil ich Parkers Verhalten und Selbstzweifel auf skurrile Art und Weise absolut nachvollziehen konnte.
Die Entwicklung durch die sie auf diesen 346 Seiten geht, ist bemerkenswert.
Ich liebe solche "Rand" Romane, die sich mit den Sichtweisen anderer beschäftigen. Umso begieriger war ich natürlich das Buch zu lesen.
Und ich habe es keine Sekunde bereut. Man taucht mit Parker in die Welt der Blinden ein. Natürlich gab es ein paar Begebenheiten, die ich vorher schon kannte, wie zum Beispiel, dass es Wecker und Handys mit Vorlesefunktion gibt. Jeder kennt Blindenstöcke und weiß, dass es die Olympischen Spiele für Schwerbehinderte gibt. Niemals jedoch hätte ich gedacht, dass es auch so etwas wie Begleitläufer oder so genannte Betreuer gibt, die sich den Blinden annehmen.
Und immer wieder merkt man an Parkers äußerlicher sarkastischen Art, dass sie das manchmal auch einfach nicht wissen will.
"Wie ich dich sehe" wird jedem Sehenden auf die eine oder andere Weise die Augen öffnen. Im wahrsten Sinne. Parker baut sich in ihrer eigenen Welt einen Panzer, durch den sie nur wenige Menschen durchlässt. Verständlich. Sie lebt nach ihren Regeln und diese hat jeder Umstehende zu lernen.
Eine dieser Regeln lautet:
Regel Nr. 2:
"Fass mich nicht an, ohne mich vorher zu fragen oder es mir anzukündigen. Ich bin blind. Für mich kommt jede Berührung unerwartet, weshalb ich entsprechend überrascht reagiere oder möglicherweise zuschlage."
Und genau wegen dieser Mischung Realität mit Sarkasmus ist dieses Buch schon jetzt ein Monatshighlight für mich.
Weil es mich überrascht hat.
Weil es mich berührt hat.
Weil mein Herz geflattert hat.
Weil ich wieder "Jung" war und meiner Jugendliebe gegenüber stand.
Weil ich die Freundschaft zwischen Parker und Sarah, Faith und Molly bewundernswert fand. Solche Freunde braucht man im Leben.
Niemals hätte ich so viel Lebendigkeit, Rührung und nachdenkliche Intelligenz in einem "Blinden"-Buch erwartet.
Nach dem Ende kann ich sagen:
Ich hätte gern eine Freundin wie Parker.
Zum Schreibstil sage ich nur:
"Und dann küsse ich ihn zart auf die Lippen. Da ist es wieder, das Gefühl. So schön.
Wie wenn man friert und auf einen Becher heiße Schokolade pustet und spürt, wie Wärme übers Gesicht streicht, und dann trinkt man einen Schluck und die Wärme breitet sich über die Wangen aus, fließt die Kehle hinunter in den Brustkorb, immer tiefer, bis sie den ganzen Körper erfüllt. [...]"
(Seite 167)
Fazit:
"Wie ich dich sehe" ist ein Muss für alle Sehenden. Ende.
Mehr gibt es nicht zu sagen.
Ganz klar 5 von 5 ⭐️ Goldsternchen.
Buchinfos
Eric Lindstrom
"Wie ich dich sehe"
Genre: Jugendbuch
Einzelband
Gebundene Ausgabe 16,99 €
eBook 11,99 €
346 Seiten Printausgabe
Herausgeber: Carlsen Verlag
Erscheinungsdatum: 25. November 2016
Ab 14 Jahren empfohlen
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